26.04.2018

Große Herausforderungen: Deutschlands Wachstumsbeitrag in der EU halbiert sich in den 2020er Jahren auf nur noch 11 %

  • Veranstaltung „Deutschland 2030 – Rollator und Robotics“ zu Demografie und Digitalisierung von BayernLB und EY
  • Die deutsche Wirtschaft wird im kommenden Jahrzehnt nur noch mit rund 1,5 Prozent pro Jahr wachsen
  • Die demografische Alterung ist der größte Bremsklotz
  • Die Produktivitätspotenziale der Digitalisierung könnten überschätzt werden
  • Digitalisierung setzt die auf Arbeitseinkommen ausgerichtete Finanzierung der Sozialsysteme unter Druck

München - Deutschland dürfte die längste Zeit die Wachstumsloko­motive Europas gewesen sein. Deutschland wird laut EY und BayernLB Research in den kommenden zwei Jahren durchschnittlich nochmals gut zwei Prozent wachsen. Für die Dekade ab 2020 erwarten die Volkswirte beider Häuser, dass die deutsche Wirtschaft nur noch allenfalls mit 1,5 Prozent pro Jahr wächst. Dadurch würde sich der Beitrag Deutschlands am Wachstum der Europäischen Union von 23 Prozent in diesem Jahrzehnt auf nur noch 11 Prozent mehr als halbieren.

„Die demografische Alterung, die ab etwa 2025 richtig an Fahrt gewinnt, werden wir nicht kompensieren können. Wie stark uns die Digitalisierung wirklich hilft, flächen­deckend produktiver zu werden, ist noch offen“, sagte Michael Böhmer, Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, auf der Veranstaltung von BayernLB und EY „Deutschland 2030 – Rollator und Robotics“ in München.

Allein durch die demografische Alterung verliert Deutschland nach offiziellen Vo­rausberechnungen rund 10 Prozent seiner Arbeitskräfte. Für Holger Bonin vom For­schungsinstitut zur Zukunft der Arbeit kein Grund zur Schwarzseherei: „Deutschland muss die vorhandenen Erwerbspotenziale noch besser nutzen. Frauen und Ältere lassen sich relativ leicht besser in den Arbeitsmarkt integrieren.“ Thomas Marquardt, weltweiter Personalleiter von Infineon Technologies fügt hinzu: „Es liegt in unserer Hand, die Digitalisierung aktiv voranzutreiben und uns dem demografischen Wandel zu stellen. Um innovativ zu bleiben, müssen wir nach wie vor in den Menschen investieren – mit seiner Erfahrung und der Kreativität des menschlichen Geistes.“ Oliver Ehrentraut, Experte für Alterssicherung bei der Prognos AG, weist darauf hin, dass man den demografischen Wandel nicht wegreformieren, sondern als Gesellschaft nur durch nachhaltig finanzierte Systeme, die Alters- und Gesundheitsversorgung sicherstellen, darauf reagieren könne. Der Sozialstaat brauche ein Update.

Dass auch die Digitalisierung bislang noch nicht überall Wirkung zeigt, macht ein Blick auf die Produktivitätsentwicklung deutlich. Seit rund 15 Jahren liegt der durch­schnittliche Zuwachs der Arbeitsproduktivität je Stunde bei nur noch 1 Prozent. In den zwei Dekaden davor, waren es noch mehr als 2 Prozent, in den 1970er Jahren, als die Digitalisierung noch weit weg war, sogar fast 4 Prozent.

Für die Politik liegt eine wesentliche Aufgabe darin, die notwendige digitale Infra­struktur bereitzustellen. Das zeigt sich in den Investitionsplänen des Bundes wie der Länder. Albert Füracker, bayerischer Staatsminister der Finanzen betont: „Allein in Bayern investieren wir bis 2022 insgesamt ca. 5,5 Milliarden Euro und schaffen da­mit im bundesweiten Vergleich hervorragende Rahmenbedingungen für den digita­len Aufbruch.“

Besondere Potenziale, um die wegfallende Arbeitskraft zu kompensieren, sehen die beiden Veranstalter, EY und BayernLB, im Bereich der künstlichen Intelligenz, die bereits heute Realität sei. Yilmaz Alan, Partner und Experte für künstliche Intelligenz bei EY, betont, dass beispielsweise jedes moderne Smartphone eine lernende Komponente hat. Mit der weiteren Entwicklung seien enorme Potenziale verbunden. Ein großes Risiko liege demgegenüber in der zunehmenden Entmündigung des Einzelnen durch Computer, die entweder „mundgerecht“ Informationen vorbereiten oder sogar komplett eigenständig Entscheidungen treffen.

Mit der zunehmenden Digitalisierung von Prozessen wird ein immer kleinerer Teil der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung vom Faktor Arbeit stammen. Für Jürgen Michels, Chefvolkswirt der BayernLB, bedeutet dies: „Mit der zunehmenden Digitalisierung wird die auf Arbeitseinkommen ausgerichtete Finanzierung unserer Sozialsysteme massive Probleme bekommen.“ Für Manuel Andersch, Analyst für Kryptowährungen bei der BayernLB, stellen Bitcoin und Co. als „programmierbares Geld“ die passende Geldform für Maschinen und künstliche Intelligenz dar. Sollten sich vollständig anonyme Kryptowährungen durchsetzen, würden nationale Behör­den bei der Steuererhebung vor große Herausforderungen gestellt werden.